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Mr. Y, 1991

Das ist Liebe: Ihre Augen sind ein schief ruhendes Inferno des Glücks, ihr Charakter ist eine rätselhafte Wolke aus feurigem Blitz und zerrinnender Kühle, ihre Nähe ein Kornfeld im Abendrot, ihre Nase ein Delta aus Donau und Styx. Der Gedanke an sie macht unbesiegbar und unersättlich, ihre Gegenwart ist ein Auf und Ab des Horizonts, sind fünfzig starke Pferde, Rappen, die über die Wogen des Lebens tragen, das winzig ist, gemessen an der nun sichtbaren Unendlichkeit.

Ich entstehe und ich vergehe im Abendrot ihrer Nähe, bei der Berührung des offensichtlichen und des verbotenen Deltas; in der langen Ruhe der Wolke, die auf Entladung wartet; und in der zwiespältigen Kunst des anhaltenden Zielens mit dem Speer. Die Welt schrumpft auf zartes Zögern, auf weiche Wärme, sie wächst zur schöpferischen Vereinigung, zum gemeinsamen Schwingen in fremden Dimensionen.

Ein leichtes Streichen der nackten Hand, ein Peitschenhieb des Satans, der die fünfzig dampfenden Rappen zu brüllender Kraftentfaltung verleitet, mit dem einzigen Ziel, die eilige Kutsche des Vernichters zum Ort der Vorhersehung zu treiben. Kräfte, die aus den Ausläufern des Himmels ins Fegefeuer strömen, die allen festen Boden in einen kippenden Ozean aus wogenden Sinnen verwandeln; ein Vibrieren, das aus den Tiefen langsam in den Verstand kriecht und dessen Kontrolle zerstört - es ist zu spät, jetzt kommt es. Die nackte Hand hat den tobenden Boden berührt, jetzt ist auch der Rest verloren, der Horizont rotiert. Mit Schallgeschwindigkeit und unausweichlich führt die Fahrt nun zu dem endgültigen Sturz in die alles vereinigende Einsamkeit, zu der finalen, unwiederholbaren Detonation des Körpers.

Die Detonation zerfetzte ihn in mehr als hundert blutige Brocken: zerrissenes Fleisch und zertrümmerte Knochen, die noch in fünfzig Meter Entfernung auf dem Asphalt verstreut waren und teilweise erst Stunden später gefunden wurden. Die Nachricht von dem Motorradunfall erreichte die Geliebte mit dem rätselhaften Charakter kurz nach ihrem Entschluss zur Heirat, den sie dann zugungsten eines anderen änderte.

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